Carbon Leakage als Märchen enttarnt

Rauchende IndustrieschornsteineIndustrielle Treibhausgasemissionen belasten das Klima und angeblich auch die Wirtschaftlichkeit des Industriestandortes Europa. Eine Studie widerlegt dies nun.

Die Gefahr der industriellen Abwanderung aufgrund hoher CO2-Kosten in Europa ist durch eine aktuelle Studie als Märchen enttarnt worden. Tatsächlich hat allein die deutsche Industrie zwischen 2008 und 2014 Gewinne in Höhe von 4,5 Mrd. Euro durch den EU-Emissionshandel erwirtschaftet.

Der EU-Emissionshandel belastet die Industrie weit weniger als bislang von ihr behauptet. Ganz im Gegenteil: Mit dem Handel von Emissionsrechten hat die Industrie Milliardengewinne erwirtschaftet und ist weit davon entfernt, aufgrund hoher CO2-Belastungen ihre Produktion ins nicht-emissionshandelspflichtige Ausland zu verlagern. Dieser als Carbon Leakage bezeichnete Vorgang erweist sich damit als Märchen der Industrielobby.


In der zweiten Handelsperiode des EU-Emissionshandels haben energieintensive Unternehmen unerwartete Milliarden-Gewinne durch so genannte Windfall-Profits aus dem Handel mit Emissionsberechtigungen verbuchen können. Allein durch die kostenlose Zuteilung von Emissionsberechtigungen an deutsche Industrieunternehmen hätten 4,5 Mrd. Euro erwirtschaften können. Zu diesem Ergebnis kommt die Umweltorganisation Carbon Market Watch, die die niederländische Beratungsgesellschaft CE Delft mit einer Analyse beauftragt hat. Insgesamt wurde dabei die Situation in 19 der 28 EU-Staaten analysiert. Danach waren die größten Profiteure in Deutschland die Stahlkonzerne ThyssenKrupp mit 673 Mio. Euro, ArcelorMittal mit 585 Mio. Euro, Hüttenwerke (389 Mio. Euro) und Rogesa im Saarland mit 277 Mio. Euro.

Industrie hat europaweit Windfall-Profits über 24 Milliarden Euro erwirtschaftet

Europaweit konnte die Industrie laut der Studie zwischen 2008 und 2014 sogar Windfall-Profits in Höhe von 24 Mrd. Euro erwirtschaften. Die Zusatzgewinne wurden auf drei verschiedenen Wegen realisiert: Überschüssige Emissionsberechtigungen und die Verwendung preisgünstiger Offset-Zertifikate aus UN-Klimaschutzprojekten sowie die Weitergabe der aufgrund der Gratis-Zuteilungen eigentlich nicht vorhandenen CO2-Kosten an die Endkunden.

Für viele Branchen seien von den EU-Staaten kostenlose Emissionszertifikate über die Menge der geprüften Emissionen hinaus gewährt worden. Dadurch konnten diese Branchen zusätzliche Gewinne erzielen, in dem sie die Überschüsse frei auf dem Markt verkauften, heißt es in der Analyse. CE Delft hat allein daraus europaweite Windfall-Profits in Höhe von 8 Mrd. Euro errechnet.

Weitere Gewinne konnten die Unternehmen durch den Einsatz preisgünstiger Emissionsgutschriften aus den UN-Klimaschutzprojekten des Clean Development Mechanism (CDM) und der Joint Implementation (JI) erzielen. Dabei verkauften sie die gratis erhaltenen EU-Emissionsrechte zu einem höheren Preis auf dem Markt und ersetzten sie durch billigere Emissionsgutschriften aus dem internationalen Markt.

CO2-Kosten werden auf Produktpreise aufgeschlagen, obwohl Emissionrechte meist kostenlos zugeteilt wurden

Letztlich machten die Unternehmen ihre Opportunitätskosten bei den Endkunden geltend und rechneten ihre vermeintlichen CO2-Kosten in ihre Produkte ein, obwohl sie die Emissionsrechte zu einem Großteil kostenlos erhalten haben. Allein dadurch könnte die europäische Industrie 15,3 Mrd. Euro Gewinn erwirtschaftet haben, urteilt CE Delft. Während deutsche Unternehmen mit 4,5 Mrd. Euro den größten Anteil der Gewinne einstreichen konnten, kam die britische Industrie auf Windfall-Profits in Höhe von 3 Mrd. Euro, auch die energieintensiven Betriebe in Spanien erwirtschafteten Gewinne in Höhe von rund 3 Mrd. Euro, so die Analyse.

Statt die energieintensiven Unternehmen als Verursacher der Verschmutzungen zur Kasse zu bitten, können sie im Rahmen des EU-Emissionshandels die Umwelt kostenlos verschmutzen, zeigt sich Femke de Jong enttäuscht. Für die Direktorin EU-Politik von Carbon Market Watch sei es aber noch schlimmer, „dass die Unternehmen in der Lage sind, mit Milliardengewinnen aus der Verschmutzung zu profitieren. Letztlich sind es die europäischen Steuerzahler, die dafür die Rechnung zahlen müssen“, kritisiert de Jong.

Die Ergebnisse der mehr als 80-seitigen Analyse zeigen deutlich, dass die Gefahr des Carbon Leakage nicht bestehe. Die energieintensiven Industrien hatten Sonderbehandlungen für bestimmte Branchen, die im internationalen Wettbewerb stehen, eingefordert, um die Nachteile der restriktiveren EU-Klimapolitik ausgleichen zu können. Mehrfach hatten Industrieverbände gedroht, dass bestimmte Branchen ins EU-Ausland abwandern müssten, um dort kostengünstiger produzieren zu können. „Wenn die CO2-Kosten weitergegeben werden, ist die kostenlose Zuteilung offenbar kein geeignetes Instrument, um ein eventuelles Carbon Leakage zu bekämpfen“, zieht Sander de Bruyn von CE Delft sein Fazit. In seiner Analyse hat er keine Hinweise darauf gefunden, dass eine Produktionsverschiebung aufgrund des EU-Emissionshandels stattgefunden habe. Ganz im Gegenteil: Energieintensive Unternehmen hätten ihren Aktionen sogar berichtet, dass der EU-Emissionshandel kein wettbewerbliches Risiko für sie darstelle, heißt es in der Analyse.

Carbon Market Watch will sich im Zuge der Reform des EU-Emissionshandels nun dafür einsetzen, die Dekarbonisierung der europäischen Wirtschaft voranzubringen und eine zu freizügige Gratis-Zuteilung zu verhindern. Nach Angaben der Umweltorganisation waren in den letzten sieben Jahren rund 11 Mrd. EU-Emissionsrechte im Wert von 137 Mrd. Euro kostenlos an die Unternehmen ausgegeben worden. Mit einer Versteigerung dieser Emissionsrechte hätte der Industrie ein Anreiz gegeben werden können, effizienter zu produzieren und zugleich Geld in die Entwicklung innovativer Technologien zur CO2-Reduktion investiert werden können, kritisiert Carbon Market Watch.

Die vollständige Studie „Calculation of additional profits of sectors and firms from the EU ETS 2008-2015” kann als PDF-Datei auf der Internetseite von CE Delft heruntergeladen werden.