Die Stahlindustrie will künftig Hüttengase für die Herstellung von chemischen Grundstoffen nutzen und mit der Klimaschutz-Initiative jährlich bis zu 20 Mio. t Kohlendioxid einsparen.
Bislang wurden die in den Hochöfen der Stahlindustrie anfallenden Prozessgase verbrannt, um Strom und Wärme zu erzeugen. Mit dem Forschungsprojekt Carbon2Chem sollen die Abgase einschließlich des darin enthaltenden CO2 nun in chemische Grundstoffe umgewandelt werden. Durch das Projekt kann das umstrittene CCS-Verfahren (Carbon Capture and Storage) vermieden werden und der Schritt zu CCU, dem Carbon Capture and Usage, vollzogen werden. Mit der entsprechenden Technik könnte der CO2-Ausstoß der Industrie um 10 % gesenkt werden. Das klimaschädliche Kohlendioxid würde mit dem angestrebten Verfahren gebunden und nicht mehr in die Atmosphäre abgegeben. Die chemischen Grundstoffe können dann als Vorprodukte für die Herstellung von Kraftstoffen, Kunststoffen und Dünger verwendet werden. Dazu wird zum Teil der in den Abgasen enthaltenen Wasserstoff genutzt. Weiterer Wasserstoff soll katalytisch über die Elektrolyse bereitgestellt werden. Dafür will die Industrie überschüssigen Strom aus erneuerbaren Energien nutzen, um den benötigten Wasserstoff herzustellen.
Prozessgase an den Anfang der chemischen Prozesskette stellen
An dem Forschungsprojekt haben sich 16 Partner aus Industrie, Wirtschaft und Wissenschaft zusammengefunden, unter ihnen der Stahlkonzern ThyssenKrupp Steel Europe und das Max-Planck-Institut für chemische Energiekonversion. Erklärtes Ziel ist es, die in den Hüttengasen enthaltenen Produkte Wasserstoff, Stickstoff und Kohlenstoff an den Anfang einer chemischen Prozesskette zu stellen. Aus ihnen lassen sich zahlreiche chemische Produkte herstellen. CO2 soll dadurch in seine Moleküle aufgespalten und als Rohstoff verwendet werden. Bisher waren die Hüttengase nahezu ausschließlich für die Energieerzeugung des Fertigungsprozesses in einem Stahlwerk genutzt worden. Nun sollen die Abläufe in der Stahlproduktion so verändert werden, dass ein Teil der Hüttengase für die Chemieproduktion abgeleitet wird, wenn kostengünstiger Überschussstrom aus erneuerbaren Energien zur Verfügung steht. Das Verfahren könnte nach Angaben der Projektinitiatoren weltweit in rund 50 Stahlwerken umgesetzt werden.
Bedeutender Beitrag zum Klimaschutz
„Carbon2Chem kann in der Zukunft ein bedeutender Beitrag zum Klimaschutz und zur Energiewende werden“, erklärt Dr. Heinrich Hiesinger, Vorstandsvorsitzender von ThyssenKrupp. Durch die branchenübergreifende Zusammenarbeit entstehe ein neues Netzwerk aus Stahlherstellung, Stromerzeugung und Chemieproduktion. Experten sehen gute Erfolgsaussichten für das Projekt, weil die grundlegenden chemischen Abläufe und die benötigten Technologien weitestgehend bekannt sind. Technisch war die Umwandlung von Prozessgasen aus der Stahlhütte in Ammoniak als Vorprodukt für die Düngemittelindustrie schon längst machbar, das Verfahren war bislang aber kaum wirtschaftlich. Für den Einsatz erneuerbarer Energien bei der chemischen Umwandlung werden nun Katalysatoren gebraucht, die starke Schwankungen im Prozess aushalten. Hier gibt es nach Angaben der Projektpartner noch Forschungs- und Entwicklungsbedarf. Auch für die Herstellung von Wasserstoff fehlen noch Verfahren, die auch bei stark schwankender Energieversorgung wirtschaftlich funktionieren. Die Reinigung und Aufbereitung der Hüttengase sind ein weiteres Forschungsfeld in dem Projekt.
10 bis 15 Jahre Entwicklungsarbeit erforderlich
Das Bundesforschungsministerium wird das Projekt mit 60 Mio. Euro fördern. Noch in diesem Jahr soll auf dem Gelände von ThyssenKrupp in Duisburg mit dem Bau eines Technikums begonnen werden, in dem die Carbon2Chem-Prozesse im Pilotmaßstab getestet werden sollen. Bis zur Marktreife des Verfahrens in großindustriellen Anlagen werden allerdings noch mindestens zehn Jahre Entwicklungsarbeit veranschlagt.